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Beruflicher Lebenslauf Polina Hilsenbeck

Dipl. Psychologin
Referentin
Autorin
Psychol. Psychotherapeutin PPT
(Approbation, tiefenpsychologisch - TP)

Die Anfänge - Familie, Studium - Arbeitserfahrungen

Geboren wurde ich 1951 im noch sichtbar kriegszerstörten München, in einer großen Familie. Immer begleitet von jener spezifischen, nicht kommentierten Mischung der Fünfzigerjahre aus Spaltung und Begegnung, Schweigen und verdeckenden Sätzen: gegenüber lebten die Familien der US-amerikanischen Befreier, in der Schule hielt man strikte Trennung von Buben und Mädchen, evangelischen und katholischen Kindern, die jüdischen und „nicht gläubigen“ bei den evangelischen.
Erste Erfahrungen der beruflichen Welten machte ich sonntags als „Freiwillige“ Schülerin im Krankenhaus.

Studium - Arbeitserfahrungen

Das Diplom-Studium der Psychologie, Soziologie und Pädagogik an der LMU in München 1970 - 1977 katapultierte mich mitten in die Revolte der Studierenden, und ermöglichte mir neue und auch erschreckende Perspektiven auf viele meiner Erfahrungen in Familie und Schule, auf transgenerationale und massenpsychologische Prozesse, auf die noch von den Folgen und Traumata des Nationalsozialismus besetzten Psychen. Wir griffen die Kontinuität des NS in allen öffentlichen wie auch wirtschaftlichen Posten und Strukturen an. Und das große Schweigen darüber.

Gleichzeitig entstanden Utopien und Projekte eines anderen Lebens und Arbeitens, einer demokratischen Politik. In den so verlebendigten gesellschaftlichen Strukturen öffneten sich mögliche Alternativen. Die Suche nach politischer und sinnvoller Tätigkeit führte mich durch so gut wie alle linken Gruppen und Demonstrationen und schließlich zu theoriebasierten Projektgruppen für Kinder in Stadtteilen mit „schwierigen Lebensbedingungen“ - bis heute prägende Erfahrungen. Die Institutionalisierung der vielfältigen sozialen Bewegungen in den westlich orientierten Ländern, also gesetzliche Grundlagen, Organisationen und Institutionen, bildeten den Rahmen und das Netzwerk, in dem sich mein berufliches Leben organisieren konnte.

Ich bin sehr, sehr dankbar, in dieser lebendigen Zeit geprägt worden zu sein.

Wie zigtausende KommilitonInnen erschlossen wir uns durch Tutorien und selbst organisierte Studiengruppen das Fach, auch diese Selbstorganisation war eine bis heute leitende Erfahrung. „Mein“ Fach, das ich in all seiner Vielfalt enorm faszinierend finde: nicht nur als Klinische, Politische, Kritische, Sozial- und Organisationspsychologie, als Psychoanalyse, Gestalt-, Tiefen- oder Verhaltenstherapie, sondern auch und insbesondere in Kombination mit Sozialarbeit, Psychiatrie oder Ergotherapie, Medizin, Körperarbeit und Musik hat die Psychologie vielfältigste methodische und perspektivische Innovationen hervorgebracht. Daran knüpften die feministische Beratung und Therapie an.

Bis zum Ende meines Studiums kofinanzierte ich meinen Lebensunterhalt als Aushilfe bei der Bundesbahn, im Krankenhaus und - bestens verträglich mit Kirchenaustritt - durch Orchesterspiel in Kirchen.

In den letzten Semestern wie auch nach dem Diplom war ich als Wissenschaftliche Hilfskraft am Max-Planck-Institut für Psychiatrie tätig, und ging Honorartätigkeiten am Institut für Frühpädagogik und in der Erwachsenenbildung nach. Auch da lernte ich sehr viel, gleichzeitig wurde mir immer deutlicher, dass und warum ich nicht weiter in diesen hierarchisch organisierten und männerdominierten Institutionen arbeiten wollte.

Frauen - und andere Initiativen und Projekte
• und ab 1978 das FrauenTherapieZentrum

Bereits im Studium hatte ich theoretisch wie ganz praktisch Bekanntschaft mit den Projekten der Antipsychiatrie gemacht: die Psychiatria Democratica in Italien um das Ehepaar Basaglia, die tiefenpsychologisch und familienpsychologisch, gleichzeitig ideologiekritisch arbeitende Antipsychiatrie in Großbritannien und den USA (Cooper, Laing, Szazs, Esterson) und nicht zuletzt die Kritik der „totalen Institution“ von Goffmann.

Parallel dazu erschienen die ersten Veröffentlichungen zu Rollen- und Geschlechter-sozialisation, zur Verinnerlichung von Unterdrückung und Stigmatisierung, und zur Befreiung. Diese diskutierten wir ebenfalls heftig in Studiengruppen und WGs und versuchten, gleichberechtigt zu leben. Dann erlebte ich die überaus aufregenden ersten großen Frauendemonstrationen zur Abschaffung des § 218. All dies hatte Konsequenzen für meine berufliche Entfaltung.

Ab 1974 arbeitete ich aktiv im Münchner Frauenzentrum und der OFP (Organisation Frauen in der Psychologie) mit. Auf der Suche nach feministischen Grundlagen lasen wir u.a. Veröffentlichungen von Psychoanalytikerinnen wie Margarete Mitscherlich, Karen Horney, Luce Irigaray und zitierten die Brovermann-Studie über Geschlechtsrollenstereotype in der Diagnostik. Mittels Consciousness Raising („CR“), Co-Counselling, eine Selbsthilfemethode der antipsychiatrischen Bewegungen in Großbritannien, den Niederlanden und USA, später mit Formen des Empowerment-Trainings übten wir befreiende Selbsthilfe und Selbsttherapie.

Wir schrieben patriarchatskritische Perspektiven auf Psychologie und psychotherapeutische Schulen, sodann zu feministischer, d.h. frauengerechter emanzipatorischer Beratung und Therapie. Diese wurden in den jährlichen Frauentherapie- und Beratungskongressen ausgetauscht und weiterentwickelt. Eine frühe psychiatriekritische Veröffentlichung verfasste Roswitha Burgard: „Wie Frauen verrückt gemacht werden“. Im Frauenzentrum boten etwa 10 von uns parallel zur Rechts- und Schwangerenberatung, zu Still- und Lesbengruppen, ökofeministischen, sozialistisch-feministischen, WenDo- und Zeitungsprojekten dreimal pro Woche eine psychosoziale Beratung für Frauen an, die wir sorgfältig vorbereiteten und auswerteten: was brauchen Frauen außer einem Frauenbuchladen, einem Frauenzentrum und einem Frauenhaus, die damals bereits existierten? Und was unterstützt sie dabei, ihre Ziele zu erkennen und zu erreichen? Dabei konnte ich wie zahllose Frauen Fähigkeiten entwickeln, von denen ich noch kaum geahnt hatte, und die schließlich auch zur Realisierung dessen führte, was in den Siebzigerjahren so viele Menschen suchten und verwirklichten: die Integration von politischer Haltung und Beruf.

Ab 1974 initiierten und gründeten wir aus der Frauenbewegung heraus dann zahlreiche Frauen- und Lesben-Projekte und Netzwerke, in München ebenso wie überregional. Diese Erfahrungen und Konzepte führten mich schließlich gemeinsam mit anderen Fachfrauen 1978 zur Gründung des FrauenTherapieZentrums – FTZ in München, mit einem zunächst noch begrenzten Angebot an Beratungen, Selbsthilfe- und Therapiegruppen.

Dort wurde ich sogleich tätig als Beraterin, Gruppenleiterin, Therapeutin. Die stete Vergrößerung der Angebotsstruktur durch Entwicklung von frauen- und bedarfsgerechten Modellprojekten, Konzepten und Finanzierungsmöglichkeiten gemeinsam mit den Kolleginnen und der Aufbau von Diensten und Einrichtungen lagen mir immer am Herzen. Denn im Bereich Psychiatrie waren und sind feministische Einrichtungen bis heute im Unterschied zu anderen Fachbereichen (Frauenhäuser, Buchläden, Beratung gewaltbetroffener Frauen, Notrufe, Mädchenarbeit, Gesundheitszentren) sehr wenig vertreten.

Insbesondere ab etwa 1985 kam es im FTZ zu einer intensiven und stark reflektierten Entwicklung der Strukturen von einem Kollektiv zu Leitungs- und Führungsstrukturen. Von der Erfahrung dieser Prozesse mit all ihren Widersprüchen und Erfolgen profitiere ich bis heute. Ab etwa 2001 war ich (über weite Strecken gleichzeitig …) Team- und Abteilungsleitung und Projektmanagerin der Psychiatrie- und Suchthilfe im FTZ, und von 2009 bis Ende 2016 fachliche Gesamtleitung und Geschäftsführung der FrauenTherapieZentrum - FTZ gGmbH. Ähnlich herausfordernd und faszinierend für mich waren und sind die Prozesse der interkulturellen Öffnung des FTZ mit besser integrierten, aber auch neuen Angeboten und Vernetzungen, Arbeit mit DolmetscherIn, Schulung und Kompetenzentwicklung der Mitarbeiterinnen.

Das FTZ ist heute ein Träger für ambulante Dienstleistungen und Fortbildung im Bereich Sozialpsychiatrie, Trauma-, Krisen- und Suchthilfe: für Frauen mit und ohne Kinder, aus 80 Kulturen, mit etwa 150 Mitarbeiterinnen und 12 Einrichtungen bzw. Diensten. Informationen und Aktuelles finden Sie unter www.ftz-muenchen.de

Netzwerke und Kooperationen

Besonders fasziniert hat mich, Frauennetzwerke auf regionaler und Bundesebene gemeinsam mit anderen Feministinnen aufzubauen. Denn in diesen Netzwerken, Arbeitskreisen, insbesondere den Frauentherapie- und Beratungskongressen wie auch den Tagungen der lesbischen Therapeutinnen entwickelten wir von 1976 bis etwa 2000 frauengerechte, emanzipatorische, kurz feministische fachliche Konzepte, berufliche Identitäten und einen Berufsverband. Aber auch zu Gewaltprävention tauschten wir uns aus, sowie über Strategien für die Arbeit in den Kontexten, in denen feministische Beratung und Therapie auch verwirklicht wurden, wie Praxen, Kliniken, Beratungsstellen, Therapiezentren, Berufsverbände, Gesundheitspolitik.

Denn es sollten ja nicht nur frauengerechte „Inseln“ entstehen, wir wollten die psychosoziale und Gesundheits-Landschaft und deren Strukturen regional wie bundesweit verändern. Voraussetzung hierfür war, uns in bestehenden Netzwerken und Gremien, in der Kommunalpolitik, in Fachverbänden Raum, Positionen und Anerkennung zu schaffen. Das stärkte mein Erleben von Durchsetzung, wobei die großartige Kooperation im Paritätischen Bayern und mit der Gleichstellungsstelle der Stadt München, aber auch in den Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften, mit Kostenträgern und Kliniken eine wesentliche Rolle spielte.

Für bestimmte Ziele konnten wir sogar Richtlinienkompetenz beanspruchen: zum Beispiel formulierten 10 Münchner Frauen, aus unterschiedlichen Einrichtungen und Diensten der ambulanten und stationären Psychiatrie gemeinsam mit psychiatrie-erfahrenen „betroffenen“ Frauen im Jahr 2000 „Handlungsleitende (-verpflichtende) Kriterien zur frauenspezifischen Qualitätssicherung in der psychiatrischen Versorgung“, die 2008 im Projekt Gender Mainstreaming in der Sozialpsychiatrie und Suchthilfe vom Paritätischen Bayern, Bezirk Oberbayern und Referat für Gesundheit und Umwelt der LH München weiter entwickelt wurden. Ergebnisse und Instrumente sind nachzulesen in R. Beck, C. Engelfried (Hg.) Managing Gender. Implementierung von Gender Mainstreaming in psycho-sozialen Arbeitsfeldern. ZIEL-Verlag 2009.

Besonders aufwändig, aber existenziell waren in der Frauenarbeit die Kooperation und die Überbrückung von Hilfesystemen, überhaupt von Systemen, denn viele Themen und damit auch erforderliche Angebotsstrukturen liegen „quer“: zu den Förder- und Finanzierungs-Grundlagen und Leistungsträgern, den Fachgebieten, Behörden, Denk- und Handlungs-logiken. Man könnte zu Recht behaupten: die so genannte Versäulung der Systeme und Kostenträger belastet die Menschen und ihre Angehörigen, produziert ungeschützte, unkoordinierte Entlassung, macht krank und verrückt, zumindest verzögert sie die Rehabilitation. Dieses Unterfangen „Brückenbau“ erhält kreativ und flexibel - und dauert Jahre und Jahrzehnte, erfordert also nachhaltigen, unerschrockenen Einsatz für alle Beteiligten.

In diesen Netzwerken und Gremien habe ich vieles gelernt, vieles mit entwickelt, vieles initiiert. 2010 bis 2016 durfte ich die Mitgliedsorganisationen des Paritätischen im Fachausschuss Psychiatrie/Suchthilfe der Freien Wohlfahrtspflege vertreten. Seit 2005 bis heute bin ich ehrenamtliche Genderbeauftragte im Vorstand des Gesundheitsbeirats der Landeshauptstadt München.

2011 verlieh mir die Bürgermeisterin für diese „Leistungen zur Gleichstellung von Frauen und Lesben in München“ den Anita-Augspurg-Preis der Landeshauptstadt München in einer wunderbaren und berührenden Veranstaltung.

Fortbildung, Vorträge, Supervision

Seit 1988 bis heute, verstärkt seit 2017 bin ich als freiberufliche Fortbildungsreferentin und Supervisorin tätig in den Bereichen stationäre- und Sozialpsychiatrie, Sucht- und Wohnungslosenhilfe, frauen- und migrationsspezifische Fachdienste, Arbeit mit Menschen mit Behinderung, Jugendamt und Jugendhilfe, Altenhilfe, Ehrenamtliche; seit 2 Jahren auch für Lehrkräfte von Sprach- und Integrationskursen. BRD-weit, in Österreich und der Schweiz.

1988 bis 2016 brachte das FTZ jährlich ein Programm für Fortbildungen heraus, von denen Tausende von Fachfrauen, bei Inhouseschulungen anderer Träger und Einrichtungen auch Männer, von den Konzepten, der hohen Fachlichkeit und Methodenkompetenz, den Vernetzungsmöglichkeiten und konstruktiven Empowermentprozessen des FTZ profitieren konnten. Ich konnte auch als Lehrbeauftragte, u.a. an der Hochschule München, die Ansätze des FTZ an Studierende weitergeben.

Zahlreiche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Fachbüchern sind großenteils noch nachzulesen.

Engagement

Soweit mir neben dem FTZ Zeit blieb, war ich aktiv in diversen Gruppen und Gremien. Besonders intensiv nahm ich z. B. in den 80er Jahren am „Frauenwiderstandscamp im Hunsrück gegen Krieg und Männergewalt“ teil, mit Aktionen gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen im Zuge der Nachrüstungsbeschlüsse, und gegen Gewalt von Männern. Dazu hatte ich auch das Empowerment-Training von Joana Macey weiterentwickelt.

Derzeit bin ich im Münchner Aktionsbündnis für Flüchtlingsfrauen, in der Münchner Kommunalpolitik und in der Vernetzung von „Berufs-Feministinnen“ und Lesben im Übergang zur aktiven Rente tätig. Das Seniorinnennetzwerk Oberland ist im Entstehen.

Was prägt mich noch?

Die Berge, Musik und das Kammer- und Sinfonieorchester Weilheim! Polina Hilsenbeck